Erfahrungsberichte

Auf dieser Seite findest du persönliche Erfahrungsberichte von Menschen mit ganz unterschiedlichen Berührungspunkten zum Thema Psychose & Feierszene – sei es als Betroffene, Angehörige, Fachkräfte oder alles zusammen.

Da das Thema hochsensibel ist und oft mit Stigmatisierung verbunden wird, haben alle Interviewten jederzeit das Recht, ihre Texte zu verändern oder zurückzuziehen. Die Berichte können sich also im Laufe der Zeit verändern, um die Rechte der Erzähler*innen zu wahren.

Vor zwei Jahren habe ich angefangen, in einer geschlossenen Psychiatrie zu arbeiten. Ich selber bin als Erzieherin dort als  Fachkraft eingestellt gewesen. Die meisten meiner Kolleg*innen waren auch Erzieher oder Heilerziehungspfleger. Die Ausbildung bereitet einen absolut nicht darauf vor. Ich selber fuchse mich gerne in Themen ein, so dass ich schnell ganz gutes Fachwissen hatte. Einige Kollegen hatten hingegen keine Ahnung was Positivsymptomatik oder Negativsymptomatik ist, mussten teilweise sogar „Autismus“ googlen. Das war der erste Schock.

Auf der Station lebten (teilweise seit 10 Jahren!!!) Menschen mit „Suchterkrankungen“ und „Suchtfolgestörungen“ – in der Praxis hieß das meistens: Psychosen im Zusammenhang mit Substanzkonsum. Die häufigsten Diagnosen waren Schizophrenie kombiniert mit Schädlichem Gebrauch von Suchtmitteln.

Mich hat damals regelrecht fassungslos gemacht, wie heftig die doppelte Stigmatisierung ist. Auf der einen Seite die psychische Erkrankung, auf der anderen Seite der Drogenkonsum. Immer wieder habe ich Sätze von Mitarbeiter:innen gehört wie: „Wer schon in der Jugend kifft, ist halt selber schuld, wenn er hier landet.“. 

Dabei haben viele der Betroffenen über Jahre hinweg unter richterlichem Zwang oder durch stillen Zwang in der Einrichtung gelebt. Und das (hier kritisierte) System war so aufgebaut, dass man nur dann wieder rauskommt, wenn man sich an bestimmte Regeln hält. Regeln, von denen ich mir sicher bin, dass weder ich, noch die meisten meiner Freund:innen, noch die Leute aus der Party- und Festivalkultur, die ich kenne, sie dauerhaft hätten einhalten können oder wollen. 

Durch meine Arbeit dort habe ich gelernt, Psychosen schneller zu erkennen. Vorher spielte das in meiner Lebensrealität kaum eine Rolle – man hat mal hier und da von „Fällen“ gehört, aber es war kein großes Thema. Seit dieser Zeit ist mir jedoch aufgefallen, wie präsent Psychosen tatsächlich sind – auch in meinem direkten Umfeld. Ich war regelrecht überrumpelt davon, wie viele Menschen mir plötzlich von eigenen Krisenerfahrungen erzählt haben: im Freundeskreis, im Club, beim Feiern.

Smalltalk ging sehr schnell über in: „Ah, du arbeitest in der Geschlossenen? Ich war auch mal dort. Das war das Krasseste, was ich je erlebt habe. Ich hatte eine Psychose.“ Ich merkte, dass die Menschen mir diese Dinge anvertrauten, weil sie mich als kritische Fachperson und zugleich als Vertrauensperson aus der Szene wahrgenommen haben. Es waren teilweise Leute, die ich kannte und die sonst nicht darüber reden, dass sie eine Psychose hatten. Das Thema ist so stigmatisiert und überfordernd, dass viele Betroffene es um jeden Preis verheimlichen. Sie bleiben allein mit den Folgen, oft auch mit dem Trauma, das eine Psychose und die Folgen hinterlassen kann.

Diese Erfahrung hat mich überfordert und überrumpelt.

Auch auf Festivals habe ich in den letzten 3 Jahren dann immer wieder Situationen erlebt, die mich sprachlos gemacht haben. Ein Beispiel: Jemand schrie laut herum, stritt panisch mit einer Person, die gar nicht existierte. Menschen drumherum kriegten das im lauten Trouble entweder nicht mit, oder sie reagierten nach dem Motto „Haha, der druffe Hippie ist n bisschen drüber“. 

Zwei Stunden später habe ich denselben Menschen wieder gesehen: starr, verkrampft, bewegungsunfähig, halbnackt, PsyCare drumherum. Er musste von anderen Besucher:innen ins Ambulanzzelt getragen werden. Seine Festivalbegleitung das passiere ihm „manchmal“, wenn er LSD, Weed und Ketamin intus hat – als sei das eine Reaktion im Rahmen des Normalen. 

Aus Ahnungslosigkeit wird dann auch mal „Runterzukiffen“ zur Strategie – mit dem Ergebniss, dass der Zustand sich verschlechtert. Cannabis kann in solchen Situationen eine Psychose massiv verschlimmern – anstatt zu helfen. Solche Szenen haben mir gezeigt, wie groß die Lücke an Wissen und Bewusstsein ist. 

Gleichzeitig habe ich zunehmend das Gefühl, dass Psychosen immer häufiger Thema werden – auch in meinem Umfeld. Anfangs dachte ich, das läge nur daran, dass ich durch meine Arbeit den Blick dafür geschärft habe. Doch in Gesprächen mit Awareness-Teams und PsyCare-Strukturen aus ganz Deutschland habe ich immer wieder die gleiche Rückmeldung bekommen: Auch andere nehmen wahr, dass Psychosen im Umfeld öfter vorkommen.

Ein Verdacht von mir ist, dass Cannabis dabei eine große Rolle spielt. Ich habe Menschen erlebt, die über Jahre regelmäßig gekifft haben – und plötzlich eine Psychose entwickelten. Teilweise sind das Menschen, die mehrere Psychedelika kombinieren, ohne dass etwas Vergleichbares passiert ist. Das lässt mich vermuten, dass das aktuelle Gras für viele schwerer verträglich geworden ist.

Ich selbst kiffe nicht und finde Kiffen eher nervig – mir ist bewusst, dass ich dadurch nicht mit einem völlig neutralen Blick auf das Thema schaue. Trotzdem haben mir erste Kurzrecherchen gezeigt, dass an dieser Vermutung etwas dran sein könnte: THC gilt eher als psychosenfördernd, während CBD eher schützend wirkt. Da das Verhältnis in den letzten Jahren stark zugunsten von THC verschoben wurde, könnte genau das ein Grund sein, warum mehr Menschen Schwierigkeiten bekommen.

Diese Entwicklung beunruhigt mich, weil die Züchtungen immer potenter werden. Meine Sorge ist, dass wir dadurch in Zukunft noch häufiger Psychosen sehen. Genau deshalb halte ich das Thema für sehr aktuell und relevant – und ein Grund mehr, warum Aufklärung und Austausch dringend gebraucht werden.

Ich saß einmal in der Raucherecke eines-Clubs und kam mit einer mir völlig unbekannten Person ins Gespräch. Wir hielten Smalltalk, dann kam die Frage: „Und was arbeitest du?“ Ich erzählte, dass ich in einer geschlossenen Psychiatrie arbeite. Daraufhin sagte die Person sofort: Sie habe auch schon öfter eine Psychose gehabt — und zwar „Immer wenn ich kiffe, kriege ich eine Psychose.“

Kurz darauf kamen andere Leute dazu und setzten sich zu uns. In dem Moment drehte sich die Person zu ihnen um und fragte: „Hat jemand Gras? Ich will mir einen Joint bauen.“ 

Die Person fing an, sich einen Joint zu drehen und zu rauchen. Dabei zog sie vorsichtig, immer nur einmal und pausierte dann. Trotzdem konnte ich förmlich zusehen, wie sie mit jedem Zug psychotischer wurde. Anfangs war noch ein Gespräch möglich, dann aber kamen Sätze wie: Ob ich denn wüsste, dass wegen ihr Millionen Menschen gestorben seien — weil sie im Jahr 2020 mit Koks angefangen habe und dadurch Corona entstanden sei. Sie sei schuld an Millionen Toten. Anfangs war die Person noch offen dafür, dass vielleicht der Anfang der Kokserei einfach verantwortlich war für den Anfang einer Psychose. Später war da keine Einsicht mehr.

Je weiter der Abend ging, desto deutlicher konnte man die Psychose sehen. Irgendwann habe ich die Person gebeten, Abstand zu mir zu halten, weil es für mich nicht mehr auszuhalten war. (Zu meiner Überraschung hat die Person es auch akzeptiert – Danke). Die ganze Situation hat mich überfordert: direkt mitzuerleben, wie jemand Schritt für Schritt in eine Psychose rutscht, und dabei das Umfeld nichts mitbekommt. Nur ein einziger Kumpel von mir hat es auch mitbekommen – vielleicht weil er selber ein Mal eine Psychose hatte

In einem Club saß ich in der Raucherecke, als sich eine Frau neben mich setzte. Wir kamen ins Gespräch, sie fragte mich, was ich arbeite. Ich erzählte, dass ich in einer geschlossenen Psychatrischen Station gearbeitet habe und nun einen neuen Job habe, in dem ein wertschätzender Umgang herrscht. Gleichzeitig äußerte ich Kritik an meinem alten Job.

Daraufhin meinte die Frau, die ich vorher noch nie gesehen hatte: Sie habe auch schon einmal eine Psychose gehabt – eine längere. Dann folgte eine unglaublich belastende (!) Geschichte. Sie begann mit einer Nacht, in der sie K.O.-Tropfen bekommen hatte und schwerster sexueller Gewalt ausgesetzt war. Es folgten Jahre voller Psychiatrie-Zwangseinweisungen, fragwürdigen Fachkräften, schlechter Behandlungen, Jugendamt, der Verlust ihrer Kinder – Jahre voller Leid.

Die Frau sagte: „Erst nach zehn Jahren habe ich verstanden, dass dieser Abend so traumatisch für mich war, dass dort der Anfang meiner Psychose lag.“

In dieser Sekunde war ich komplett überfordert. Aber in keiner Sekunde habe ich infrage gestellt, dass es möglich ist, dass sie all die Jahre nie gespiegelt bekommen hatte: Es kann sein, dass Stress oder Trauma der Auslöser war (und Drogen die Situation vermutlich verschlimmert haben). Stattdessen konnte ich mir genau vorstellen, wie die Ärzteschaft immer wieder impliziert hat: „Wenn man Drogen nimmt, ist man selbst schuld.“ Und dass sie damit über Jahre immer wieder konfrontiert war.

Statt auf ihr Trauma zu schauen – das ja auch eine Ursache für Sucht sein kann – wird der Fokus einseitig auf den Drogenkonsum gelegt. Allein die Tatsache, dass ich das für absolut realistisch halte, hat mich schockiert. Ich dachte: Das kann doch nicht wahr sein. Das System ist voll am Arsch.

Diese Geschichte hat mich noch lange beschäftigt – um ehrlich zu sein, bis heute. Und auch bei dieser Begegnung hatte ich das Gefühl: Sie redet sonst mit niemandem darüber. Erst nach vorsichtigen Nachfragen, und wahrscheinlich auch, weil sie mich als kritische Fachperson wahrnahm, hat sie mir das erzählt.

„Der Sommer meines Lebens“ – beschissener Festivalsommer

Es waren ungefähr 12 Wochen, die ich rückblickend als „drüber“ oder psychotisch bezeichnen würde.

Damals wusste ich nicht, dass es eine Psychose war. Ich hatte mich mit dem Thema nie beschäftigt.

Der Sommer war geprägt von viel Kiffen, Schlafmangel, Pepp, Festivalaufbau: erst F-Festival, dann M-Festival. Tagsüber Aufbau und Arbeit, abends feiern – Horror, einfach grauenhaft.

Schon auf dem F-Festival hatte ich paranoide Gedanken, etwa dass ich in einem Spiel gefangen sei, dessen Regeln ich nicht kenne. Auf dem M-Festival erreichte das Ganze seinen Höhepunkt. Ich hatte einen fetten Joint geraucht, wollte schlafen, konnte aber nicht. Plötzlich dachte ich, dass sich alle vom Aufbau durch ihre Zelte hindurch gegenseitig Heroin spritzen würden.

In dieser Situation habe ich mit C und S gesprochen, außerdem gab mir eine weitere Person eine Schlaftablette. Alle drei kannte ich schon lange. Ein Kumpel, den ich seit Jahren kenne, war dabei, und eine Freundin C, die Psychotherapeutin ist und mit Suchtkranken sowie Psychose-Erfahrenen arbeitet. C war definitiv nicht in meinem „Film“ drin, sie konsumiert selbst nichts, nicht mal Alkohol. Sie hat damals klar gesagt: „Das ist ein psychotischer Zustand. Lass das Pepp und hör auf zu kiffen.“

C hatte selbst eine Psychose erlebt. Sie meinte: „Ich weiß genau, wie es ist, solche Gedanken zu haben. Die fühlen sich total echt an. Aber denk mal logisch: durch eine Zeltwand kommt man nicht an eine Vene.“ Dieses Gespräch war für mich ein Türöffner. Ich habe eingesehen, dass ich schlafen muss – und nach 12 Stunden Schlaf ging es mir besser.

Sie sagten mir auch: „Am besten gar nichts mehr konsumieren.“ Sie haben mir CBD inklusive Tropfen besorgt und meinten, falls ich unbedingt rauchen wolle, solle ich CBD ohne Tabak nehmen. Ich war extrem dankbar, dass sich drei Leute die Zeit genommen haben und einfach da waren.

Ins Awareness-Zelt wäre ich in dem Zustand nicht gegangen – ich habe allen Menschen geisteskrank misstraut. Auch dieses „Leg dich mal auf die Matratze, mach ne Atemübung“-Hippie-Ding hat mich total abgestoßen. Mein Kopf raste mit 300 km/h, da wollte ich keine Fremden.

Psycare gab es in dem Jahr zum ersten Mal, aber den Typen, der das vorgestellt hat, fand ich komisch. Also dachte ich: „Nee, lieber nicht.“

Nur mit Menschen, denen ich blind vertraue, konnte ich reden.

Am nächsten Tag, nach dem Schlaf, war ich zwar noch paranoid, aber besser. Meine Friends sind gut auf mich eingegangen. Die, die nichts wussten, haben mir zwar Joints angeboten, aber ich konnte da ablehnen.

Ich bin mir sicher: Wenn ich weitergemacht hätte, hätte ich mir oder jemand anderem etwas angetan. Wahrscheinlich eher mir selbst – oder ich wäre kopflos übers Feld gerannt.

Arbeit & Alltag

In diesen 12 Wochen war ich auch arbeiten, in der 24h-Pflege. Aber auch dort hatte ich Filme. Ich dachte, jemand läuft durchs Haus – dabei war es nur der Hund. Schließlich ließ ich mich krankschreiben, weil ich merkte, dass es mir nicht gut ging. Trotzdem ging ich danach aufs M-Festival – richtig dumme Idee.

M-Festival-Anekdote

Vor meiner eigenen Psychose hatte ich beim M-Festival-Aufbau zwei Wochen lang eine Person begleitet, die selbst psychotisch war – damals wusste ich das noch nicht. Für mich war das eine Vollzeitbetreuung, während andere genervt waren, dass ich beim Aufbau nicht „richtig“ mitgeholfen habe. Einer derjenigen, die damals sauer auf mich waren, hat sich später bei meiner eigenen Psychose um mich gekümmert – und sich dafür entschuldigt, dass er damals so reagiert hatte. Das fand ich sehr schön.

Nach dem M-Festival

Die paranoiden Momente hielten noch ein halbes Jahr an, bis ich aufgehört habe, Keta, Pepp etc. zu nehmen. Ich habe gemerkt, dass es nicht nur das Kiffen war, sondern die Kombination – zu wenig Schlaf, zu viel Input, zu viel Druck im Kopf.

Nicht mehr Kiffen

Nach dem M-Festival habe ich direkt aufgehört zu kiffen. Das hätte ich nie gedacht – immerhin habe ich vorher 14 Jahre lang (von 14 bis 28) täglich gekifft. Aber ich habe gemerkt: ohne Kiffen sind die Filme weniger, mein Gehirn läuft besser.

Auch meine sozialen Ängste wurden geringer. Vorher konnte ich gar nicht in Gruppen abhängen oder Gespräche führen – hängen geblieben (Anmerkung: im Sinne von “dumm sein”, nicht “auf dem Trip hängenbleiben”). Das Nicht-Kiffen hat mir geholfen, mich neu zu entdecken.

CBD hat mir dabei sehr geholfen. Davon kriege ich keine Wahnzustände.

Einmal habe ich im April aus Versehen gekifft – das war okay. Setting macht alles. Aber ich bin heute extrem vorsichtig. Sobald ich Anflüge von „Filmen“ merke, ziehe ich die Notbremse und gehe aus der Situation. Das konnte ich früher nicht.

Partnerin (wird ergänzt und selbst interviewt)

Meine Partnerin J hat unglaublich viel ausgehalten und mir extrem geholfen. Ohne sie hätte ich das alles nicht geschafft.

Klinik

In eine Klinik wäre ich damals nicht gegangen. Ich habe Fremden einfach nicht vertraut.

Festivals & Feiern heute

Ich bin viel vorsichtiger geworden. Drei Jahre lang habe ich gar keine Festivals besucht, weil meine schlimmsten Filme dort waren. Heute geht das wieder – aber nur in Maßen.

Anekdote: Ballerkreise & Geburtstagsparty

An meinem Geburtstag wollte ich eigentlich nicht, dass geballert wird. Trotzdem habe ich meine Freunde in einem Raum erwischt, wie sie zu fünft Keta gezogen haben – wohlgemerkt bei mir Zuhause. Da war ich erst mal richtig sauer. Heute verstehe ich das besser – meine Freunde waren eben auch einfach süchtig. Viele sind auch gar nicht erst zu meinem Geburtstag gekommen, weil man dort nicht ballern durfte. Das habe ich allerdings erst später herausgefunden.

Tipps an andere

  • Zieh dich notfalls 1,5 Jahre komplett raus – bei mir hats geholfen, habe nichts konsumiert außer Zigaretten und Alkohol.

  • Danach: bewusst konsumieren. Frag dich: „Will ich das wirklich, oder mache ich es nur, weil alle anderen es tun?“

  • Meditation hat mir geholfen, meine eigenen Gedanken wiederzufinden.

  • Awareness-Leute: Nicht zu aufdringlich sein.

  • Psycare & Festivals: Nehmt Psychosen ernst. Holt Profis dazu – am besten Menschen, die selbst eine Psychose erlebt haben, um nachvollziehen zu können, wie absurd die Gedanken sein können. Ich könnte mir vorstellen, selbst Psychose-Beauftragter auf Festivals zu werden.

  • In solchen Zuständen kann kreatives Denken extrem werden, das Gehirn arbeitet auf Hochtouren. Mir hat geholfen, in einer Fremdsprache zu denken – auf Englisch. Dadurch wurde das Denken weniger überdreht weil mein Kopf sich auf was anderes fokussiert hat

  • Freundeskreis: Achtet auf die Bedürfnisse der betroffenen Person. Helft, Therapie- oder Klinikplätze zu finden – aber nicht in einem akuten Wahn. Da hätte ich sofort die Flucht ergriffen.

  • Aufklärung ist zentral: über Instagram, Flyer auf Festivals, Infostände, wo Leute fragen können „Mein Kumpel verhält sich seit Tagen komisch – was tun?“



Ich lebte mit einem Mitbewohner zusammen, der neben einer Persönlichkeitsstörung auch psychotische Episoden hatte – das hatte er beim WG-Casting nicht erzählt, daher kam es nach und nach zu Tage. Er hatte eine lange Vorgeschichte mit harten Drogen, Dealerei und schweren Straftaten. Mehrmals stand er vor Gericht und verbrachte auch einige Zeit in einer Forensik – wegen einer schweren Sexualstraftat, und bewaffneter Freiheitsberaubung. Zwar konnte er in einem Verfahren darlegen, dass seine Psychose ein einmaliger Vorfall gewesen sei, ausgelöst durch nur temporären Cannabiskonsum. In unserer WG konsumierte er jedoch weiterhin regelmäßig, und sein Verhalten wurde zunehmend unberechenbar.

Für mich entwickelte sich die Situation zu einer massiven Belastung. Ich hatte Angst um meine Sicherheit und sogar um mein Leben – so sehr, dass ich schließlich heimlich auszog. Um Unterstützung zu bekommen, wandte ich mich an meine Familie. Doch da mein Mitbewohner bereits Kontakt zu einem Familienmitglied hatte, stellte er die Situation völlig verdreht dar: Er behauptete, ich sei diejenige mit Psychose und Drogenproblemen. Meine Familie glaubte ihm – und nahm meine Hilferufe nicht ernst.

Besonders schmerzhaft war für mich die Erfahrung, dass mir durch die Verdrehung der Situation nicht nur nicht geholfen wurde, sondern mir meine Wahrnehmung komplett abgesprochen wurde. Das zeigt, wie stark Doppeldiskriminierung wirkt: Wer mit psychischen Erkrankungen oder Sucht in Verbindung gebracht wird, hat es doppelt schwer. Nicht nur, dass Betroffene gesellschaftlich stigmatisiert sind – ihre Stimme wird auch weniger ernst genommen. Wenn einem erst einmal eine Diagnose wie „Psychose“ zugeschrieben wird, kann das bedeuten, dass einem plötzlich grundsätzlich misstraut wird. Alles, was man schildert, wird infrage gestellt oder als „Einbildung“ abgetan. Das führt dazu, dass reale Gefahren nicht mehr erkannt werden und notwendiger Schutz verweigert wird. Genau dieses „Nicht-ernst-genommen-werden“ kann selbst zu einer massiven Belastung werden – und es zeigt, wie wichtig es ist, Menschen zuzuhören, unabhängig von ihren Diagnosen. Weil auch jemand mit paranoidem Verfolgungswahn kann real verfolgt werden.

Vor der Psychose

Freitag gestartet, auf einer Party gewesen, dann Samstag zu einem Kumpel und weitergemacht – kompletter Mischkonsum. Da ging’s mir auch schon nicht mehr so gut.

Aber ehrlich gesagt hat das vorher schon angefangen. Die Anzeichen waren da – auf After Hours und so. Ich dachte, die Leute reden über mich, wollen mich nicht da haben, auch in Clubs. Das ging schon ein halbes Jahr vorher so.

Der Moment des Auslösers

Ich war dann samstags im Park, auf ’ner Goa, und hab gegen Sonntagmittag, so 14 oder 15 Uhr, noch einen Joint geraucht – war der letzte meines Lebens.

Durch die Teile, die ich genommen hatte, hab ich mir die Wange aufgebissen. Ich dachte, eine Wespe hätte mich im Mund gestochen. Bin dann deswegen ins Krankenhaus, in die Notaufnahme.

Dort dachte ich dann: die Leute reden über mich, wollen mich nicht da haben. Bin dann wieder raus. Bin zu meiner Schwester, weil ich Hilfe brauchte. Zwei Stunden gewartet, alle reden über mich – aber keiner hat mir geholfen.

Der Weg in die Psychiatrie

Mein Schwager hat mich dann wieder ins Krankenhaus gefahren. Ich hab da voll den Aufstand gemacht, weil ich meinte, ich muss sofort drangenommen werden, sonst kack ich ab. Dann haben sie mir Blut abgenommen.

Beim Blutabnehmen fing’s an mit den Stimmen – als würden hinter der Tür bekannte Leute reden.

Dann kam der Arzt wieder, hat aufgezählt, was alles im Blut ist. Meinte, ich soll eine Nacht bleiben. Ich hab dann ein kleines Zimmer bekommen.

Auf dem Weg dorthin hab ich alle Türen aufgemacht, um zu gucken, woher die Stimmen kommen – auch alle anderen Krankenzimmer.

Im Zimmer sollte ich dann schlafen. Da ging’s richtig los. Ich hab den Fernseher abgehangen, weil ich dachte, da ist eine Kamera. Hab mir den Zugang rausgerissen. Das hat schnell eine Ärztin gesehen, weil ich am Bluten war.

Dann kam der RTW. Ich bin mit PsychKG in die Klinik gekommen, weil ich mich mit dem Zugang selbst verletzt habe.

„Hätte ich mir nicht auf die Wange gebissen, wär ich nicht ins Krankenhaus, dann hätt ich mir nicht den Zugang rausgerissen, dann wär ich nicht mit PsychKG in die Geschlossene – dann hätt ich mit der Psychose gelebt.“

Akutphase

Dann fing es richtig an: Ich hab gedacht, alle verarschen mich – auch im RTW. Ich hab zum Arzt gesagt: „Sie können mich wieder rauslassen. Ihr verarscht mich doch alle. Ihr könnt das Spiel auflösen.“

Ich kam dann auf die Geschlossene, in den Fixierraum – aber ohne Fixierung. Da war eine Glasscheibe, durch die einen alle beobachten konnten. Ich wollte mich partout nicht ins Bett legen, weil ich dachte, ich werde beobachtet.

Ich hab draußen Schreie gehört – meine Schwester hatte frisch ein Baby bekommen – und ich dachte, meine Familie wartet draußen. Aber da war niemand.

Ich hab meinen Kumpel mit Ghettoblaster gehört – dachte, er will mich abholen.

Verlauf & Rückkehr

Ich hab dann Tavor bekommen, bin zur Ruhe gekommen.

Am nächsten Tag kam ich in ein Zimmer mit einem anderen Typen. Ich hatte Todesangst und Stimmen. Ich dachte, draußen wollen Leute mit Molotovs alles abfackeln. Ich dachte, mein Zimmernachbar vergewaltigt eine Frau. Ich bin dann mit Todesangst rausgeschlichen.

Die Stimmen meinten, ich soll in den Raucherraum gehen, kippen rauchen.

Dann nochmal Tavor auf Bedarf – konnte schlafen. Danach war der psychotische Zustand vorbei. Ich wollte raus, aber es galt ein PsychKG von sieben Tagen.

Dann wurde ich eher aggressiv – die psychotischen Gedanken waren weg, aber ich hab mich gefragt, warum ich noch da bin, mit all den anderen Verrückten – obwohl ich ja selbst einer war, haha. Hab auch gegen Mülltonnen getreten.

Ein Pfleger meinte dann, ich könnte am nächsten Tag mit der Ärztin sprechen, ob das PsychKG aufgehoben werden kann.

Die Ärztin fragte mich, was ich höre – und dann durfte ich ein paar Tage später auf die offene Station. 

Ich bekam Risperdal als Antipsychotikum – hatte anfangs Nebenwirkungen wie verschwommene Sicht, aber dann war gut.

Ich war dann noch 3–4 Wochen auf der offenen Station.

In der Klinik

Auf der Psychiatrie gab es keine Gruppensitzungen, in denen man was über Psychosen gelernt hat. Es gab eher Handwerksstunden, Walken und so.

Psychoedukation hatte ich nicht. Plus- und Minussymptomatik sagt mir nix. Die Ärzte haben nur gesagt, dass das wiederkommen kann, wenn ich nochmal konsumiere – oder durch Schlafmangel, Stress usw.

Sie haben mir geraten, in die Gruppen zu gehen – hab ich nicht gemacht. Therapie wurde auch empfohlen, aber das war nix für mich.

Ich weiß nicht, ob ich mich gerade zu sicher fühle, aber ich bin heute ein ganz anderer Mensch. Damals war ich viel unsicherer, hatte keine Ausbildung. Heute weiß ich, wer ich bin. Deswegen fühle ich mich sicherer, dass sowas nicht nochmal passiert.

Familie & Umfeld

Meine Familie war komplett überfordert. Mein Vater hat mich trotzdem fast jeden Tag besucht. Über meinen Drogenkonsum haben wir eigentlich nicht gesprochen. Das Thema war ihm unangenehm. Warum, weiß ich nicht. Er hat mich erst 13 Jahre später gefragt, was ich nehme. Ich meinte: Speed. Und er hat dann zum ersten Mal „Speed“ gegoogelt. Er wollte sich nicht erschrecken lassen und hat’s deswegen vorher nicht gemacht.

Freundeskreis & Rückzug

Ich hab mit allen aus dem alten Freundeskreis den Kontakt abgebrochen – außer mit O. Der Kreis war eh ein Feierkreis, und die haben das auch verstanden.

Als ich dann wieder angefangen hab zu ballern, fand O. das scheiße. Er hat mir Ansagen gemacht – und ich fand sie gut. Ich hätte das an seiner Stelle auch gemacht.

„Warum sollte man nach sieben Jahren wieder anfangen zu ballern? Voll unnötig – gerade mit dem Hintergrund.“

Danach: Alltag & Rückfälle

Im Nachlauf hatte ich Schwierigkeiten, mich sozial anzupassen. Ich bin Fußballfan, wollte mit der Bahn ins Stadion, aber musste wieder aussteigen. Beim nächsten Mal bin ich nach 30 Minuten Spiel einfach gegangen. Es waren so kleine Schritte.

Risperdal hab ich ca. 6–9 Monate genommen. Absetzen lief langsam: erst halb, dann viertel, irgendwann hab ich das letzte Viertel einfach weggelassen.

„Die Welt war in der Zeit Chaos. Das war das Schlimmste, was ich je mitgemacht hab.“

Danach hab ich sieben Jahre keine Drogen angefasst – aus Angst. Dann kam irgendwann wieder das erste Teil.

Der alte Freundeskreis war eh weg, meine damalige Freundin hatte dann die Idee, mal mit einem kleinen Kreis wieder was zu nehmen. Diese Leute wussten von meiner Psychose. Wir haben kurz drüber gesprochen, dass Angst da ist, aber es gab keinen richtigen Plan, was wir im Notfall machen würden.

Der Vibe war gut, ich hab’s ausprobiert. Es war geil, die Angst war erstmal weg. Aber ich hab danach ein Jahr Pause gemacht, dann langsam wieder angefangen.

Rückfallauslöser & heutiger Umgang

Der richtige Rückfall ins Drogenleben kam, als meine Ex Schluss gemacht hat – da war mir eh alles egal. Das war größer als die Angst.

Ich hab zwar geschafft, anfangs keine Nächte durchzumachen, aber ich hab mir Schritt für Schritt mehr rausgenommen.

„Bei jeder Nase, bei jedem Teil denk ich trotzdem an die Situation. Es bleibt dieser Gedanke: Es ist gefährlich.“

Wenn ich das nochmal kriegen würde – ich würde sofort wieder komplett aufhören.

Innensicht der Psychose

Beispiele für den Zustand:

  • Der Kopf rast vor Unruhe, du kommst null zur Ruhe.
  • Ich war bis Montagabend wach, obwohl keine Drogen mehr im Spiel waren – nur Gedankenrasen.
  • Ich hatte das Gefühl, es ist ein riesiges Schauspiel. Alle spielen mit. Und ich hatte wirklich Todesangst.

Die Stimmen waren nicht unbedingt böse – erst Freundesstimmen, dann eine fremde Stimme. Da war ich aber schon auf Medis und hab gemerkt: Das ist was Komisches. Ich konnte es schon als „nicht real“ einordnen – aber vorher: unmöglich.

„In der Psychose ist das deine Realität. Da kann jeder sagen, dass es nicht stimmt – aber für dich ist es real.“

Umgang mit Menschen in Psychosen – Tipps

  • Neutral und empathisch bleiben
  • Nicht sagen: „Das stimmt nicht“
  • Einfach zuhören
  • Nicht bewerten, aber auch nicht bestätigen
  • Ernst nehmen

„Ich hatte in der Klinik einen Mitpatienten mit Graspsychose – ich war der Einzige, mit dem er geredet hat, weil ich ihn nicht ausgelacht hab.“

Wenn’s einer nahestehenden Person passiert wäre? Ich weiß nicht. Ich würde versuchen, Hilfe anzubieten und sagen, dass da was nicht stimmt. Aber wirklich wissen, wie man damit umgeht? Keine Ahnung.

No-Gos:

  • Nicht ernst nehmen
  • Belächeln
  • Runterreden
  • Keine Empathie zeigen

„Das sind ernste Gedanken, und wenn man dann ausgelacht wird – das ist schon krass.“

Heute: Umgang mit Stigma

Die alten Ballerkontakte hab ich damals abgebrochen, 1–2 Jahre lang. Danach hab ich sie wieder gesehen – konnte daneben sitzen, während sie geballert haben, ohne Probleme.

Der jetzige Ballerfreundeskreis weiß nichts von der Psychose – und soll auch nichts wissen.

„Ich find’s krass, dass manche direkt Leute ausschließen, wenn sie mal ne Psychose hatten. Ich erzähl das nur, wenn ich merke, dass jemand empathisch damit umgehen kann.“